24.10.2017

Race Report Kona

Was für ein Erlebnis; meine 15. Ironman Langdistanz, und das in Kona!

Was für ein Erlebnis; meine 15. Ironman Langdistanz, und das in Kona!Besonders viel Spaß gemacht hat diesmal auch die Zeit vorher: ganz viel Vorfreude und nicht zuletzt dank eurer Begleitung enorm viel Spaß, auch mit der Reinhard.Beinhart.hr1 Facebookseite. Danke dafür! Und: zwei Wochen San Francisco, Big Island und Maui mit meiner Familie, die mich so super unterstützt hat, wie noch nie - das war natürlich unbezahlbar!Ganz herzlichen Dank aber auch an Claudia Demuth, die mich über die letzten drei Monate ruhig aber konsequent mit strukturiertem Training zum Rennen geführt hat - eine positive Erfahrung und eine große Hilfe! Mahalo außerdem für alle praktischen Tipps, die ich im Laufe der Zeit so bekommen habe - besonders bedanken will ich mich bei Stefan Opitz, der mir viele Ratschläge für die Reise und zur Rennstrecke gegeben hat. Und Grüße auch an dieser Stelle nochmal an Vizeweltmeister Jürgen Bäuerle und an Dirk Löwer, der eine Hammer-Zeit hingelegt hat - war wirklich schön, gemeinsam mit euch in die Fluten zu springen!Was mein eigenes Rennen anbelangt: Platz 2.112 von 2.232 Finishern. Da muss man doch eigentlich deprimiert sein, selbst wenn es etliche DNFs gab, oder?Nein, bin ich nicht (mehr) - und dafür gibt es viele Gründe. Ein paar ganz wichtige habe ich schon genannt, es gibt aber noch ne ganze Reihe mehr. Ich bin mit den Besten der Besten der Besten gestartet - aber in meinen bisherigen Rennen nie über Plätze im Mittelfeld hinausgekommen. Wo sollte da plötzlich ne bessere Platzierung herkommen? Meine Qualifikation hatte ich mir ja über das IRONMAN Legacy Programm (nicht zu verwechseln mit der Lotterie) erarbeitet - also über zwölf gefinishte IRONMAN Langdistanzen. In Kona starten zu dürfen und tatsächlich zu Finishen ist natürlich was ganz besonderes und das Glücksgefühl lässt sich inzwischen nicht mehr von der Enttäuschung unterkriegen :-) Wobei ich nicht die Augen davor verschließe, dass ich klar unter meinen Möglichkeiten geblieben bin. Aus einer Mischung von zum Teil selbst verschuldeten Pleiten, Pech und Pannen. Aber auch das ist nicht schlimm - ich habe tatsächlich bei meinem 15. Ironman nochmal eine ganze Menge dazu gelernt und gedenke das in meinen nächsten Rennen zu nutzen.Im Grunde schien ja alles perfekt zu laufen. Der Jetlag war klasse, ich hatte die ganze Race Week einen wunderbar nach vorne verschobenen Tagesrhythmus. Kein Problem, am Renntag mitten in der Nacht aufzustehen. Das Probeschwimmen mit Jürgen und Dirk geht prima, der 50k Highway-Test auf dem Rad macht mich regelrecht euphorisch - hinterher muss ich mich mental direkt etwas einbremsen. Und die Temperaturen sind zwar warm, aber absolut erträglich.Dann ein kleiner Schock am Abend vor dem Rennen: Regenguss, und zwar heftig. Wer rechnet damit, auf Hawaii? Ich nicht, und ich habe auch keine anderen wasserdicht umgefalteten und zugebundenen Wechselbeutel gesehen. Schuhe, Socken, Strümpfe werden also quatsche nass sein - und in Kona darf man morgens nicht mehr an die Beutel. Fiese Sache. Andererseits: im Fahrtwind trocknen die Radschuhe und Socken ja schnell, und die Laufsachen sind bis zum Nachmittag dank Sonne vielleicht auch wieder trocken.Gut geschlafen, Standardverpflegung Kaffee, O-Saft, Müsli. Am Vorabend gemixte Radverpflegung und sonstige Sachen zusammengerafft und ab zum Busshuttle. Keine fünf Minuten Wartezeit, dafür ne gefühlte Ewigkeit beim "Body Marking". Wie im Supermarkt: an allen anderen Schlangen ging´s schneller. Irgendwann dann endlich die Klebe Tattoos aufgepappt bekommen und auf in die Wechselzone, um die Verpflegung am Rad unterzubringen und die Reifen zu checken.Böse Überraschung: der Vorderreifen ist praktisch platt. Überdruck und Luftverlust durch die Sonne gestern? Reifen selbst sieht ok aus. Also aufgepumpt, Vorderrad ausgebaut und Dichtmittel im Tubeless-Reifen verteilt. Ist ja noch viel Zeit. Zur Not ziehe ich nen Schlauch rein. Und hier mache ich Fehler Nummer eins: eigentlich sollte ich direkt zum Bike Service gehen, und mir nen Schlauch reinmachen lassen. Stattdessen spule ich meine sonstigen Vorbereitungen weiter ab und kontrolliere das Vorderrad nach einer Viertelstunde nochmal. Nur ganz leichter Luftverlust - also einfach nochmal Reifen schütteln und nachpumpen, dann passt´s schon.Ab Richtung Schwimmstart, ordentlich Anti-Scheuer auf alle empfindlichen Teile, Schwimmanzug über den Eintracht-Einteiler und ab ins Wasser! Riesen-Stimmung, bisschen mit anderen Athleten quatschen, dann vor zu den Kajaks schwimmen und mittelhinten einsortieren. Massenstart aus dem Wasser heraus - aufregend! Hatten wir ja in Frankfurt auch lange. Trotz weit über 2000 Startern klappt das ganze ziemlich gut und auch weitgehend ohne die oft bemühte "Schlägerei". Ich finde schnell einen guten Rhythmus, den ich so etwa einen Kilometer halte. Dann suche ich mir ein paar Beine. Die sind eigentlich einen Tick zu langsam, aber ich kann ja auch einfach ein paar Körner sparen und auf dem Rückweg zulegen...Ziemlich genau am Wendepunkt sind die ersten AK-Frauen da, die 15 Minuten nach uns gestartet sind. Die ersten zwei, drei Grüppchen sind nicht groß, keine größeren Reibereien, während sie vorbeiziehen. Ich schwimme absichtlich etwas weiter außen, um sie nicht zu behindern. Zwischen Kilometer 2,5 und 3,5 hänge ich mich immer mal wieder eine schnellere Frauengruppe dran - dazu muss ich im Prinzip aber sprinten, und spätestens nach 50 Metern bin ich aus dem Wasserschatten wieder raus. Am Ende steige ich mit 1h26 aus dem Wasser - vorgenommen hatte ich mir (mit Seegang, ohne Neo) sub 1h30; das hat also schon mal gut hingehauen!Zackig den Beutel gegriffen und ab ins Zelt. Freude: die Socken sind trocken! Dann Fehler Nummer zwei: die Socken ziehe ich trotzdem nicht an, weil der lange Teppich zum Rad quatschenass ist. Bis ich da bin, sind die Socken doch nass - und ich fahre ja oft ohne Socken. Dabei blende ich nur leider aus, dass es ohne Socken normalerweise ab 100km langsam anfängt zu scheuern... Auf die Idee, die Socken mitzunehmen und etwas später anzuziehen komme ich leider nicht. Denn ich habe gestern Abend während des Regengusses nicht alle möglichen Varianten durchgespielt.Nächster Dämpfer: das Vorderrad hat doch wieder etwas Luft verloren. Jetzt doch gleich den Schlauch einziehen? Nein! Ich bin schließlich hunderte Kilometer mit dem Setup gefahren, und wenn der Reifen im Stehen mal etwas undicht war, dann ist er beim Fahren immer dicht geworden, weil sich die Dichtflüssigkeit dann wirklich in alle Ritzen verteilt. Ich fahre mal und pumpe in ein paar Kilometern nach, spätestens dann ist alles geritzt! Schläuche kommen mir nicht mehr ohne Not ans Fahrrad, da habe ich einfach meine Negativerfahrungen, zum Beispiel beim Ironman in Kalmar...Flott aufs Rad und aus der Wechselzone raus, vor der Gefälle-Überholverbotszone an der Palani Road noch an ein paar zaudernden Kollegen vorbei, zügig auf den Kuakini Highway einbiegen und jetzt dosiert die Steigung angehen. Nach 7,5 Kilometern an der Wende den Reifen checken... Reifen fühlt sich gut an! Hat keine weitere Luft verloren, aber insgesamt etwas zu wenig Druck. Ich hole die Pumpe raus, da erklärt mir ein Police Officer: "schau mal, da gegenüber ist ein Mechanikerposten - der hat ne große Pumpe!" Stimmt. 50 Meter weiter rollen, Reifen befüllen lassen. Das Ganze hat jetzt vielleicht zwei Minuten gekostet, aber das ist ok. Dafür kann ich geschmeidig tubeless weiterrollen. Hochgefühl setzt ein.Schon beim Anstieg die Palani Road hoch neue Zweifel. Fühlt sich das Vorderrad wabbelig an? Kurzer Halt - nein, nur Nervosität. Alles gut. Weiter kontrolliert mit 160, 170 Watt. Nicht zu viel raushauen!Kilometer 25, kurz hinterm Flughafen. Das Vorderrad ist wabbelig. Ich montiere jetzt nen Schlauch! Anhalten, Rad vorsichtig abstellen, damit der Liter Kohlenhydratlösung nicht aus meiner Speedfil-Flasche rausläuft. Schlauch rausholen und loslegen. Vroooom. Klapper. "Hi, what´s wrong?" Glücklicher Zufall: der Servicevan ist gerade vorbeigekommen. "I´ll handle that for you" Mantel runter, kurzer Kommentar "oh, the rim tape“ bei dem ich mir nichts Böses denke, Mantel drauf "wow, that´s a tough one", Luft rein und mit "thank you so much" bin ich wieder auf der Piste. Jetzt aber endgültig!Einen dreißiger Schnitt werde ich nicht mehr hinkriegen - naja, so ganz ernsthaft hatte ich das auf der Strecke ja auch nicht erwartet. Fehler Nummer drei: Aber 6h30 sind noch drin, wenn ich etwas Gas gebe. Ich lege 10 Watt zu, ist ja nicht so viel. Und ich fühle mich gut!Bis Kilometer 56, kurz hinter der Mauna Lani Anlage. Das Vorderrad wabbelt. Das gibt´s doch nicht! Mantel runter hebeln. Pläng! Reifenheber abgebrochen... Gut, dass ich zwei habe - aber bei den stramm sitzenden Mänteln ist´s kein Spaß, nur mit einem Hebel und den Fingern zu arbeiten. Übrigens ist es auch ganz schön sonnig, hier auf den Queen Ka'ahumanu Highway. So ganz ohne Fahrtwind könnte man es auch heiß nennen.Hm. Kein Schaden zu erkennen. Alles etwas nass von den Resten der Dichtmilch, aber sonst... Mantel sieht gut aus. Außen und innen. Felgenband ist etwas verschrumpelt, naja. Schlauch lässt sich pumpen, kann kein Loch entdecken. Ah, der freundliche Mechaniker hat die Ventilverlängerung nicht ordentlich draufgeschraubt. Könnte undicht sein. Festdrehen, Mantel montieren - ächz - aufpumpen.Hält zirka 1,5 Kilometer. Der Reifen ist definitiv platt. Ganz einfach platt.Nicht aufregen, es ist nur ein Rennen. Es ist noch viel Zeit. Es geht nur um´s Finishen. Wieder den Mantel runterwürgen - mit der Angst, dass der zweite Hebel auch noch abbricht. Ah ja: der Schlauch hat ein Loch. Aber warum? Habe doch Mantel und Felgenbett kontrolliert... Und dann ist es plötzlich klar: das Felgenband klebt nicht mehr richtig, hat sich verschoben, deckt die Nippellöcher nicht mehr richtig ab. Abziehen und neu kleben aussichtslos, alles ist aufgeweicht. Vielleicht die Hitze gestern in der Wechselzone. Keine Ahnung, hilft jedenfalls nix. Und den zweiten Schlauch zu montieren wird nichts bringen, der ist in kürzester Zeit auch hinüber...Ich habe es nach Kona geschafft, das Schwimmen ist besser gelaufen, als erwartet - und jetzt fliege ich wegen technischen Defekts aus dem Rennen. Ich glaube es einfach nicht! Ich stehe am Straßenrand und die Athleten fliegen in Scharen an mir vorbei. Einige fragen, ob ich was brauche. Sehr nett- aber Felgenband hat natürlich keiner dabei. Es ist aus!!!Vroooom. Klapper. "Hi, what´s wrong?" Der zweite Servicevan! "You got rim tape?" "Sure" Der Mechaniker schaut sich die Sache an, sagt: das dauert doch zu lange - ich gebe dir ein Vorderrad... Es ist nicht zu fassen, ich bin wieder auf der Piste. Eine gute Dreiviertelstunde hat mich der ganze Scheiß jetzt gekostet, aber:"I´m in the race!"Das brülle ich die nächste Viertelstunde durchgehend vor mich hin. "I´m in the race!" Leider bin ich vom in der Sonne stehen leicht durchgebrutzelt, das Tempo zu halten fühlt sich schon nicht mehr so locker an. Wahrscheinlich liegt´s nicht nur daran, dass mir der Mann für mein schönes Aero-Laufrad ein ganz profanes Alu-Niederprofil Vorderrad gegeben hat. Nach Hawi hoch zieht sich´s schon ziemlich. Immerhin scheint Jürgen gut unterwegs zu sein, der ist mir schon entgegengekommen.Den Rückweg mach ich kurz: er ist lang. Mein Rücken, die Fußsohlen und die Zehen fangen an, zu mosern. Warum, verdammt nochmal, habe ich die Socken bloß nicht angezogen? Die zeitweilige Angst, vielleicht sogar den Cutoff zu verpassen, ist zwar Hysterie - aber die Radzeit ist am Ende wirklich übel. Fehlt mir jetzt Puffer für meine Angstdisziplin?Ankunft in T2: in Ruhe ins Wechselzelt gehen und die Strümpfe anziehen. Es ist eh schon spät - ich erhole mich jetzt, so lange es noch heiß ist und laufe dafür später mehr. Denke ich. Natürlich Fehler Nummer vier. Denn das Gehen macht die Fußbeschwerden nicht besser. Aber leider habe ich mich nach dem Katastrophen-Bikepart innerlich schon auf "Finishen" als Ziel runter handeln lassen. Ich sehe kaum auf die Uhr. Ich stelle mir keinen Laufen/Gehen Timer. Ich lasse mich treiben. Ein paarmal habe ich ein kleines Zwischenhoch, laufe ein paar hundert Meter, auch mal nen Kilometer. Am Ende sind es um die zehn Kilometer, die ich Laufe - der Rest ist spaßlose Nachtwanderung. Mehr Kopf- als Fußsache.Aber zum Glück gibt´s ja den Flash gegen Ende. Noch vor der Palani Road wummert mir Corona entgegen "The Rhythm of the Night" - und der Rhythmus nimmt mich mit. Was für ein geiles Gefühl, in die Palani Road einzubiegen, noch ein paar Leute einzusammeln und dann den Bogen bis zum Ali'i Drive zu laufen, mit enthusiastischem Publikum rechts und links. Ich fliege. Ich strahle. Ich flenne vor Glück. Und dann laufe ich dem Lokalmatador in den Rücken, der mit ausgebreiteten Armen und Fahne die Finishline blockiert. Die Kameras lösen aus. Viele, viele schöne Bilder von dem Hawaiianer und seiner Fahne - keines von mir unter dem Zielbogen. Passt irgendwie zum Rennen.Ja, ich habe ein, zwei Tage gebraucht, bis ich mich über mein Finish richtig freuen konnte. Und dass es kein ordentliches Foto gibt, wurmt mich immer noch. Aber es sind so viele tolle Bilder und Töne in meinem Kopf - von Verzweiflung bis Euphorie - die Gänsehaut und das innere Strahlen bleiben.Beinhart :-)