25.10.2017

Hawaii – Vizeweltmeister - Härtetest für Körper und Kopf

Langdistanz-Weltmeisterschaft in Kona/Hawaii.

Langdistanz-Weltmeisterschaft in Kona/Hawaii.Am 14.10., 7 Uhr 05 drückte ich auf den Startknopf an der Uhr und es ging los!Jetzt ist der 16.10., 21 Uhr 20. Ich sitze im Flug Kona – San Francisco und beginne, meinen Rennbericht zu formulieren.Mein zweiter Hawaii-Start ist Geschichte!Am 14.10. schwammen insgesamt ca. 2.500 Athleten los. Darunter auch einige ältere Damen (9) und Herren (33) in der AK 70. Bis zum späten Abend hatten es dann insgesamt 31 von 42 ins Ziel geschafft.Im Vergleich zu Frankfurt und anderen „normalen“ LD-Rennen, wo die meist Grauen ja nur vereinzelt auftreten, war also in Hawaii ein ganzes Altersheim auf der Strecke!Natürlich hatte ich vorher versucht, meine Chancen auszuloten. Einige Namen bzw. Quali-Zeiten waren mir bekannt, zu vielen Teilnehmern hatte ich allerdings keine Informationen. Ist aber auch egal, weil allein die Form am 14.10. zählt! Da meine Frankfurter Quali-Zeit so schlecht nicht war, habe ich auf eine Wiederholung meines Podiumsplatzes aus 2012 gehofft.Ich musste also „nur“ meine „normale“ Leistung bei Hawaii-Bedingungen bestätigen und hoffen, dass nicht allzu viele Mitkonkurrenten in einer Superform waren.Beim Schwimmen rechnete ich mit einer Zeit um die 1:40 und habe mich deshalb beim Start hinten einsortiert. Im Vergleich zu Frankfurt ging es anfangs entspannt zu. Ich fühlte mich gut und dachte: Genießen, es ist der kürzeste Teilabschnitt, nicht so anstrengend und mit angenehmen Temperaturen.Selbstverständlich dachte ich auch immer wieder an die Grundregeln für Krauldilettanten: Langmachen, Körperspannung, Beine hoch und sauber abdrücken!Nach der Wende wurde es etwas hektischer: Die schnelleren AK-Frauen pflügten sich durch das hintere Männerfeld. Ich versuchte, mein Tempo beizubehalten und nicht depressiv zu werden. Das gelang mir auch. Am Ende stand eine 1:33! Eine gute Gelegenheit, meinen Schwimmtrainern zu danken, und zwar insbesondere: Katy, Tanja und Philipp! 8 Minuten schneller als 2012; geht nur mit besserer Technik!O.k., so konnte es weitergehen! Also raus aus dem Schwimmanzug, Salzwasser gründlich abspülen, in die Schuhe und ab aufs Rad. Hier ein für mich eher ungewohntes Bild: Im AK 70er-Bereich standen noch viele Räder rum!2012 war ich 6 Std. 30 unterwegs. Langsamer sollte es 2017 nicht werden. Radzeitenprognosen sind auf Hawaii allerdings wegen den unterschiedlichen Windverhältnissen sehr schwierig.Bevor es nach Norden auf den Highway in Richtung Hawi ging, musste erst noch eine kleine Südschleife von 10/15km gefahren werden. Ruhiges, gleichmäßiges Aufliegerfahren war hier schwierig, da noch viel Betrieb und Unruhe im Feld war. Beim Überholen habe ich auf die Nummern geachtet und gesehen, dass ich zumindest schon mal zwei AK 70er einkassieren konnte. Auf dem Highway ging es dann mit leichtem Rückenwind gut und zügig voran. So macht Radfahren Spaß! Weniger Spaß hatte sicher Reinhard, der mit einer Panne am Rande stand. Kein gutes IM-Jahr für ihn!Auch wenn die Landschaft wenig Abwechslung bietet, ist es doch nicht langweilig. Auf schnellere Passagen folgen leichtere Anstiege, wechselnde Windrichtungen und auch heftige Seitenwindböen. Eine Athletin unmittelbar vor mir kam ins Schlingern und konnte sich bei 40 bis 50km/h gerade noch auf dem Rad halten. Ich habe mich erschrocken und musste zum Ausweichen auf die Gegenfahrbahn. War knapp! Hat mich schon beeindruckt. Bin danach bei einigen schnelleren Abfahrten lieber aus der Aufliegerposition raus.So etwa 20 bis 25km vor Hawi wurde es erstmals richtig zäh mit Gegenwind und Anstieg. War froh, als der Wendepunkt kam!Insgesamt ging es mir gut. Nachdem ich wieder etwa auf Meereshöhe war, wurde die Hitze deutlich spürbarer. Ich habe mir an jeder Verpflegungsstation Wasser über den Kopf und Körper gegossen. Die Helfer waren sehr bemüht, aber bei der Flaschenübergabe häufig ziemlich ungeübt.Nach Hawi hatte sich der Schnitt etwa bei 28 eingependelt. So 30 bis 40km vor Kona begann dann die Gegenwindpassage und die Sehnsucht nach dem Ende. Die Zeichen für Ermüdung und Unkonzentriertheit nahmen zu.Habe versucht, mich allen Pulkbildungen zu entziehen. Bei den letzten Verpflegungsstationen lagen dann auch viele Plastikflaschen auf der Straße rum, was noch zu zwei Stürzen in meiner Nähe führte.Im Ziel war es eine 6:26. Also ähnlich wie 2012. Ich war zufrieden. Die Zeit war o.k. und ich hatte mich wohl auch im AK-Feld nach vorne gearbeitet.Beim Absteigen wurde dann klar, dass mich offenbar die 180km richtig alt gemacht haben. Steif und ungelenk abgestiegen habe ich mir einen Krampf im Oberschenkel eingehandelt. Natürlich habe ich versucht, weiter die Rolle des jungen Alten zu spielen, konnte jedoch nur langsam und kontrolliert durch die lange Wechselzone schreiten. Beim Laufbeutel-Ständer habe ich gesehen, dass offenbar nur ein Athlet vor mir war. Schön, ich musste allerdings erst mal wieder Kraft/Einstellung für den finalen Lauf finden.Im Zelt habe ich den LD-Einteiler ausgezogen und das ärmellose Triashirt angezogen. Den Wechsel hatte ich mir in den Tagen vorher überlegt und nicht bereut. Nach ca. 11 Minuten bin ich losgelaufen. Gefühls- und Leistungsmäßig war ich jetzt richtig in der AK 70 angekommen. Beim Gedanke an die 42km wurde mir ziemlich bange! Ich wusste auch nicht genau, wie meine Position war. Offenbar war ein TN vor mir! Wieviel Vorsprung hatte er? Konnte ich ihn noch erreichen? Hatte mich jemand in der Wechselzone überholt? Wie gut sind meine Verfolger drauf?Mir war schon klar, dass ich eine große Chance auf eine gute bis sehr gute Platzierung hatte. Aber war ich überhaupt körperlich in der Lage dazu? Und ich dachte auch an meine Familie, viele Freunde und natürlich Euch Eintrachtler, die meinen Lauf verfolgten. Ich wollte weder mich noch meine Fans enttäuschen. Im Nachhinein kann ich nicht verstehen, warum ich nicht willensstark einfach durchgelaufen bin. Ja, wenn das so einfach wäre!Am Samstag ging auf dem Alii Drive eigentlich nichts mehr. Da war nur noch Kampf. Ich habe an jeder Verpflegungsstation angehalten, getrunken und den Körper mit Wasser, Schwämmen und Eis abgekühlt und dann um jeden Meter gekämpft. Immer im Zwiespalt! Der Körper sagt Dir: Gehe weiter, ruhe Dich aus! Der Wille sagt Dir: Du willst hier was erreichen, also laufe endlich los! Es kam hinzu, dass ich mindestens drei Verpflegungsstationen brauchte, um die Trockenheit im Mund loszuwerden. Erst als ich das Wasser mit Cola auffüllte wurde es besser. Aber, die Lücke zwischen Wollen und Können war weiterhin riiiiesig!Die Palani-Steigung bin ich komplett hochgegangen. Oben ging es dann links auf den Highway Richtung Flughafen. Wie schon 2012 habe ich hier wieder etwas Mut bekommen. Ich hatte zwar erst etwa ein Drittel der Gesamtstrecke geschafft, aber es ging vorwärts. Außerdem machten auch langsam Hitze und Sonne schlapp. Wahrscheinlich hatte ich es jetzt auch endlich geschafft, mein Laufvermögen realistisch einzusortieren.Obwohl es jetzt besser ging, war der Lauf weiterhin eine verdammt zähe Angelegenheit. Frei nach dem Motto: Wann kommt denn endlich die Abzweigung zum Energy Lab, usw./usw. ... Gut, dass es inzwischen stockdunkel und das ganze Elend nicht mehr so öffentlich war.Irgendwann bin ich tatsächlich wieder in Kona angekommen. Konnte sogar auf den letzten 3km noch etwas Tempo aufnehmen, auch weil ich an den Schweizer Teilnehmer Bruno Billeter dachte, der mich vor Jahren mal in Wiesbaden mit 5 Sekunden Vorsprung geschlagen hatte.Auf diesen letzten Kilometer kam dann auch die Freude auf den Zieleinlauf, allerdings nicht so stark wie 2012 oder in Frankfurt.Mit insgesamt 5:10 war mein Laufergebnis brutal schlecht! 2012 war ich mit meinen 4:30 schon ziemlich unglücklich. Ich habe kein Problem, zu akzeptieren, dass das Gesicht im Spiegel immer älter wird, aber, dass ich läuferisch immer schlechter werde, ist verdammt schwer zu verarbeiten. Natürlich kann ich mein Laufergebnis auch kühl und nüchtern analysieren, wenn ich will. Aber ich liebe das Laufen und „Liebe und Realitätsverlust“ passt ja dann wieder.Fazit:
Am Ende war das Ergebnis sehr deutlich.Simon Butterworth hat ganz souverän die AK gewonnen. Er hatte mit über 20 LD, davon allein 12 mal Kona und mehreren Podestplätzen die meiste Erfahrung und die beste Form! Herzlichen Glückwunsch, er hat den WM-Titel verdient!Ich habe mir mit 13:27 den zweiten Platz erkämpft und hatte auf die Plätze 3, 4 und 5 ca.25, 30 und 35 Minuten Vorsprung. Gegenüber 2012 war ich zwar beim Laufen 40 Minuten schlechter, aber insgesamt nur 25 Minuten länger unterwegs. Das ist gut und natürlich auch der Grund für die bessere Platzierung.Mit meinem Schwimmergebnis bin ich sehr zufrieden. Beim Radfahren habe ich meinen zweiten Platz erreicht. Das Laufergebnis ist gefühlt schlechter als real, da sehr viele TN mitgelitten haben und ich mit dem Teilergebnis Laufen meine beste Gesamtplatzierung erreicht habe.Insgesamt gefällt mir natürlich die Bilanz meiner letzten vier LD: In Frankfurt: Zweimal Europameister; In Kona: einmal WM-Fünfter, einmal WM-Zweiter.Wie geht es weiter?
Möglichst lange wie bisher, solange Fitness und Ergebnisse stimmen.
Hoffentlich weiterhin langsamer schlechter werden als meine Altersklassenmitstreiter.
Gut möglich, dass Hawaii 2017 meine letzte LD war.
2018: Trainingslager auf Lanzarote und natürlich in Cecina.
Im Mai dann den 70.3 Barcelona mit der dritten Vereins Europameisterschaft als Ziel!Danke an
Sebastian Mühlenhoff und das gesamte iQathletikteam
für Leistungsdiagnostik, Bikefitting und Trainingsplanung
sowie
das Physiofarmteam in Karben, die unermüdlich daran arbeiten, die Langfristfolgen der Achillessehnen-OP und den Alterungsprozess in Grenzen zu halten.Aloha Jürgen