19.07.2013

Challenge Roth 2013 – Nie wieder Roth - zumindest nicht so bald

Für meine zweite Langdistanz hatte ich mich von einem Start beim „Best Old Race“ überreden lassen. Also ab nach Roth. Vorbereitung lief bis auf eine dreiwöchige Bronchitispause wirklich gut und so konnte es am Freitagmittag losgehen ins Frankenland. Ich hatte mir ordentlich was vorgenommen für diesen Tag. „9:59:59 oder Blaulicht“ sollte es werden und ich hatte mir einen genauen Plan überlegt, wie ich das anstellen wollte. Alles war perfekt vor-bereitet – dachte ich…
Anreise/Check-In:
Die Region lebt Triathlon. Sobald man von der Autobahn in Richtung Roth abgebogen ist, ist dies nicht mehr zu übersehen. Fahnen und Willkommens-schilder säumen die Straßen. Die Abholung der Startunterlagen, Bike Check in am Samstag etc. verlief absolut problemlos. Super organisiert und die Helfer extrem freundlich und zuvorkommend. Überall ist genug Platz und es gibt nahezu keine Wartezeiten (im Gegensatz zur Pastaparty, die ich aufgrund der Schlange ausfallen lassen habe).
Ein Wort noch zur Triathlon Messe in Roth: So muss eine Triathlon Messe bei einer Langdistanz aussehen! Alles, was das Triathletenherz begehrt, war im gigantischen Triathlonpark zu haben. Hier kann sich Frankfurt eine ordentliche Scheibe abschneiden. Die Messe ist ca. 2,5 mal so groß und in der Artikelbreite deutlich besser sortiert. Vor allem fallen da Griechen rum, die abends noch Wein trinken habe ich gehört – Aleco oder so hieß der Typ, glaube ich…
Unterkunft:
In Roth wird meist gecampt. Dazu kann man entweder auf den örtlichen Campingplatz oder einen der zahlreichen kostenlosen Stellplätze ansteuern. Absolut problemlos und unkompliziert.
Wir waren bei einer Familie im Schrebergarten untergebracht mit Swimming-pool und Stromanschluss für 12 Euro/Nacht und Wohnmobil –  1 Min Fußmarsch zur Wechselzone 2 - Top Sache.
Raceday:
Nach einer sehr kurzen Nacht um 4 Uhr aufstehen und frühstücken. Lecker drei Brötchen mit Honig – würg! Dazu einen ordentlichen Kaffee. Neben meiner Frau und meinen Eltern waren Frank Bittner, seine Verlobte Melissa Chen und meine Freundin Sarah ebenfalls gekommen, um mir Beine zu machen. Im Wohnwagen war zur Frühstückszeit also einiges los.
Vorbereitung fürs Rennen lief – Bike mit Gel bestücken, Riegel aufreißen und Luft in die Reifen. Ich hatte mein Triathlonrad genau auf Roth abgestimmt und alles aufmu-nitioniert, was der Waffenschrank hergab. Vorne eine 80er Aero Felge, hinten Scheibenrad, das ich mir extra von Peter geliehen hatte. Dazu hatte mir José seinen Aerohelm gegeben, mit dem er beim RAAM so erfolgreich gefahren war – am Material sollte es also nicht scheitern. Rein in den Neo, Pumpe zu Papa an den Zaun. Da traf ich Josi, der auch nach Roth gekommen war, um uns Eintrachtlern Beine zu machen. „Guude – mach locker und hau rein“ – Is klar – locker…. Kleiderbeutel an den Schwimmausstieg – Ah Rebecca Sack ist auch schon da – kurzes Schwätzchen und Umarmung – Schön mit uns Eintrachtlern!  Auf geht’s ! Ab zum Schwimmen.
Swim:
Schwimmen in Roth ist nicht jedermanns Sache - meine ist es nicht. Geplant waren 54 - 55 Minuten.
Statt Massenstart wird in Roth aus Platzmangel im Main Donau Kanal in Wellen zu ca. 300 Mann gestartet. Ich startete erst um 7:10 h in Gruppe 9…
Bis zur ersten Boje lief es perfekt. Ich hatte schnell mein Tempo und Frank und Melissa begleiteten mich neben dem Kanal laufend und signalisierten, dass ich gut in der Zeit lag.
An der Wendeboje war dann Chaos pur. Ich war auf zahlreiche langsame Schwimmer aufgeschwommen, die sich mehr oder weniger panisch um den Wendepunkt quälten – Ein besonders begabter Brustschwimmer verpasste mir einen Tritt in den Bauch und alle Schwimmpläne waren dahin – Ich hatte auf dem Rückweg massive Magenschmerzen und Atemprobleme und konnte keinen sauberen Rhythmus mehr schwimmen. Dreierzug war nicht mehr möglich und so quälte ich mich weiter. Hinzu kam, dass das Wasser immer voller wurde. Zahlreiche langsame Schwimmer muss-ten überholt werden, diese schwammen dabei nicht etwa seitlich rechts am Kanal sondern schön kreuz und quer – bevorzugt aber im Mob mittig.
Nach 59:58 kam ich endlich aus dem verdammten Kanal raus. Ich bevorzuge definitiv den Massenstart, da hat man nach der Prügelei zu Beginn wenigstens nach 300 m seine Ruhe. Oder irgendwie in eine frühere Startgruppe kommen. Martin Janousek (war in Gruppe 1 gestartet) hat vom Schwimmen geschwärmt (er kann es ja auch ganz gut)
T1:
Als ich die Zeit gesehen habe, war ich geschockt – ich hatte trotz Problemen versucht reinzuhauen und auf eine schnellere Zeit gehofft. Im Stress griff ich nach meinem Beutel - Nummer 1341 passt… Stopp du Idiot – das ist nicht deine Nummer – wie war die noch mal… Ich stand einfach da und dachte: Wie kann man nur so dumm sein – 1431 jetzt hammer`s. Kontrollblick rein – Schuhe kennste – passt! ab geht’s zum Wechseln. Wechseln in T1 wollte ich eigentlich in 2:30 Min. Rein ins Zelt, Neo runter und Socken an – war der Plan. Helfer war da und wollte helfen. Allerdings wollte meine linke Hand nicht. Ich hatte einen Krampf in kleinem Finger und im Ringfinger. Unglaublich, was der Körper so für Sachen macht, wenn man sie am Wenigsten braucht. Socken und Radschuhe anziehen war dadurch ein großes Vergnügen. Irgendwann hatte auch ich es geschafft, rannte zum Bikeparkplatz und sprang auf mein Rad.
Bike:
Die Radstrecke in Roth besteht aus zwei Runden. Aus ZWEI Runden.
Bike Runde 1:
Beim Losfahren sah ich bereits meine Leute die mich anschrien. Meine Frau signalisierte mir, es sei jetzt Zeit aufzuwachen und draufzudrücken. Als braver Junge tat ich wie befohlen. Kopf runter, Kette rechts und Druck. Bei km 10 nach der ersten Verpflegung flog meine Box mit Ersatzschläuchen, Ventilver-längerung, Reifenheber und Gaskartuschen aus dem Flaschenhalter hinter dem Sattel, was ich durch einen dumpfen Schlag mitbekam – Ist jetzt nicht wahr – egal - muss auch so gehen, dachte ich mir – einfach ohne Defekt fahren ok? Wird schon werden. Die erste Radrunde lief super. Ich hatte einen guten Tritt und kam sauber rum.
Das Highlight war der Solarer Berg. Das Ding ist der absolute Hammer – hier muss man einmal als Teilnehmer hochgefahren sein, das Gefühl ist unbe-schreiblich. Am Ende von Runde 1 hatte ich einen guten 36er Schnitt drauf – eine 2:26 er Runde – Perfekt – Ich freute mich auf Runde 2 – das sollte ich noch bitter bereuen…
Bike Runde 2:
Ab KM 100 hatte ich ein komisches Ziehen an der Innenseite meiner Ober-schenkel – Ich dachte mir nichts weiter dabei, schmiss eine Salztablette mehr ein und fuhr weiter. Beim Selingstädter Berg wurden aus dem Ziehen handfeste Krämpfe. Beide Adduktoren spielten völlig verrückt. Ich versuchte, mich auf dem Rad so gut es ging zu dehnen und fuhr weiter. Salz aß ich jetzt im 30 min Rhythmus. In Greding am Kalvarienberg ging dann nichts mehr. Ich wusste nicht mehr, wie ich Rad fahren sollte. Aeroposition ging nicht, aufstehen auch nicht, also rutschte ich auf dem Sattel ganz zurück und drückte die Fersen beim Treten extrem nach unten, dazu die Hände auf die Ellenbogenpads und den Rücken voll aufrecht– so hoffte ich auf eine weitere Dehnung der Muskulatur – so sieht eine top Radposition aus… - Ich schlich mit meiner Scheibe, dem 80er Vorderrad und dem Aerohelm den Berg rauf, als hätte ich gestern Radfahren gelernt – unzählige Teilnehmer fuhren an mir vorbei. „Jeden Moment klappst du vom Rad“, dachte ich „und dann ist hier Ende für dich - heute fährst du Besenwagen“
Endlich am Ende des Anstiegs angekommen, begrüßte mich der Wind. Dieser stand in Runde zwei denkbar schlecht und ich war der Verzweiflung nahe. Gegenwind und keine Power mehr in den Beinen. Dazu machte sich das viele Salz bemerkbar – mir war speiübel. Irgendwo bei Eysölden betrieb ich fahrender weise eine zweimalige Gewichtsoptimierung der besonderen Art und ließ mir die Ernährungsstrategie noch mal „durch den Kopf gehen“ In meiner gesamten Sportlerlaufbahn hatte ich noch keinen derartigen Tiefpunkt. Bis kurz vor dem zweiten Anstieg nach Solar war ich auch emotional völlig am Ende. Das ganze Training – seit Januar über 6000 Kilometer auf dem Rad - und jetzt scheitere ich bei meiner Paradedisziplin?
Ich wollte mir die Blöße nicht geben, am Highlight der Strecke vor über 30000 Zuschauern vom Fahrrad zu fallen und aussteigen zu müssen. Vorher aus-steigen wollte ich aber auch nicht. Meine Familie und meine Freunde waren nur für mich in dieses verdammte Kaff gefahren – also: „DNF is no option“ - weitermachen, irgendwie! Ich stoppte kurz nach der Ortseinfahrt Hilpoltstein in einer Einfahrt mein Rad und dehnte mich – irgendwie musst du da hoch, redete ich mir immer wieder ein. Der Traum Solarer Berg, der mich das ganze Jahr motiviert hatte, war für mich zum totalen Albtraum geworden.
Mit gesenktem Kopf fuhr ich zum zweiten Mal in den Solarer Berg – dieses Mal getrieben von der Angst, überhaupt nach oben zu kommen und der totalen Blamage zu entgehen. Kleinster Gang, hohe Trittfrequenz und Augen einfach nur aufs Vorderrad – bloß keinen sehen, nur irgendwie verstecken – alles egal. Dieser emotionale Kontrast zu Runde 1 lässt sich nicht in Worte fassen.
Unten im Anstieg brüllte Simone Böhm mich an um mich anzutreiben– leider erfolglos – ich war fertig mit der Welt.
Ich fuhr im Anstieg nach Solar an der Stelle vorbei, an der meine Freunde und meine Familie standen, schaute jedoch nicht zur Seite – ich konnte sie einfach nicht ansehen. Oben steige ich aus, dachte ich. Nur noch hier hoch und dann ist`s  vorbei.
Endlich oben angekommen, rannte mein Freund Freddy neben mir her. Er hatte meinen Einbruch im Live Ticker auf dem Handy ge-sehen und hörte sich meine Kurzfassung an. Er ignorierte alles, was ich sagte und schrie mich ein-fach nur in ohrenbetäubender Lautstärke an: „Auf Junge! Scheißegal! Hau rein jetzt – Vergiss alles, was war und mach dein Ding! Komm wieder rein in den Wettkampf - Auf jetzt“
Ich brauchte zwei Minuten, um zu realisieren, was er gesagt hatte. Ich dachte mir – was soll`s. Es ist nicht mehr weit bis in T2 – nimm raus, fahr ganz locker und halt zur Not einfach an und dehn` dich noch mal – Triathlon hat drei Disziplinen – musst halt heute Laufen lernen – Läuft ja heute bis jetzt wunderbar – „alles im Plan“, dann wird das mit dem Laufen ja wohl auch klappen.
Ich benötigte für die zweite Runde 14 Minuten länger als für die erste… Noch mal 4 endlose Minuten Richtung Roth in T2…
Nach 5:10 h stieg ich endlich, endlich, endlich vom dem verdammten Fahrrad.
T2:
Schuhe aus, Helm aus, Schuhe an, Mütze auf und ab – Nummer vor und los – Kurz Sanitär entspannen, dehnen und los. 3 Min Wechselzeit waren dafür echt ok. Ein Blick auf die Uhr verriet: Sub 10 immer noch möglich – unglaublich nach diesem Mist auf dem Rad – angreifen? – mindestens einen 3:40er Marathon – eigentlich unmöglich nach so einem Tag oder? Scheißegal - platzen kann man immer – no risk no fun…
Run
José hatte mir fürs Laufen mitgegeben, immer die Schrittfrequenz schön hoch zu halten. Darauf habe ich mich konzentriert und bin einfach los. Zudem hatte er mir das Versprechen abgerungen, die ersten Kilometer strikt nicht schneller zu laufen als mein späteres Durchschnittstempo. Also lief ich mit 5 min; 5:17; 5:19; los - brav immer mit Blick auf die Garmin. Bis km 25 lief es richtig gut – die endlosen Meter am Kanal lief ich wie in Trance – voll fokussiert auf einen schnellen Schritt, eine gute Armbewegung und stetige Verpflegung. Die Er-nährung hatte ich auf Salz und Cola umgestellt – das klappte gut. Deutlich bes-ser als mit Gels. Die Zeit passte auch. Einfach durchhalten, dachte ich. Einfach nur irgendwie durchhalten. Mittlerweile war‘s mollig warm geworden am Kanal. Keine Wolke am Himmel.
Ab km 26 ging dann der Marathon richtig los – alles in meinem Körper brannte. An diesen Punkt wollte ich kommen – das war ursprünglich meine Motivation für die Langdistanz. Über mentale Stärke, den Körper immer weiterpeitschen. Dazu hatte ich mir meinen Lieblingsmoti-vationsspruch von Jens Voigt zurecht-gelegt: „Shut up Body, and do what I’m telling you!“ Den Körper über die Grenze treiben. Immer am Kanal entlang - immer geradeaus. Dann ab in den Wald, bergab in dem Wissen, alles wieder hoch laufen zu müssen. In einem kleinen Ort angekommen, ging es drei Kilometer auf Asphalt bergauf. Ich bekam Krämpfe, diesmal im hinteren Oberschenkel und in der Wade und musste mich kurz dehnen. Danach ging es wieder weiter. Irgendwo in dieser schier endlosen Einöde tauchte auf einmal Josi auf. Selten habe ich mich über ein bekanntes Gesicht so gefreut wie diesmal. Ich beklagte mich über die Strecke - Er sagte nur: „Hör auf zu labern und lauf – konzentriere dich nur auf dich und auf deinen Lauf.“
Das tat ich. Bis km 36 ging es ganz ordentlich dahin. Ein Blick auf die Uhr ließ mich wieder rechnen – es kann reichen – die Sub 10 war immer noch drin – unglaublich nach diesem Höllentag. Aber es ging nicht mehr viel, das spürte ich – das wird sauknapp – wenn es irgendwie klappen soll, würde ich mir jetzt so richtig weh tun müssen. Also beißen und weiter. Dann tauchte Frank Bittner auf dem Fahrrad wieder auf und peitschte mich unaufhörlich an. Er fuhr mit Josi in einigem Abstand hinter mir her und redete unentwegt motivierend auf mich ein.
Ich holte alles aus mir heraus, weiter, immer weiter egal wie – weiterlaufen, hohe Frequenz – nicht vergessen. Am Ziel-kanal vorbei, noch mal zwei Kilometer quer durch Roth - beißen Junge… Auf dem roten Teppich, ca. 50 m vor dem Stadion, bekam ich wieder Krämpfe und musste stehenbleiben – einmal dehnen, loslaufen – geht nicht - zweimal dehnen und vorbei – die Sub 10 war passé, das wusste ich in dem Mo-ment.
Ich wollte aber den Zieleinlauf und meinen ganz persönliches Comeback in diesem Wettkampf zelebrieren – so hart hatte ich dafür gekämpft, dass ich diese paar Sekunden jetzt nicht überbewerten wollte. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und rannte durch das Stadion ins Ziel - 3:42:51 für den Lauf.
In 10:00:41 überquerte ich die Finishline von Roth und fiel vor Erschöpfung einfach um. Nichts ging mehr! Sofort kamen Helfer zu mir. Ich gab Entwarnung – Kreislauf war ok, nur die Beine konnten mich nicht mehr tragen – das war alles.
Noch im Liegen gab`s die Medaille.
Als ich wieder einigermaßen geradeaus gucken konnte, stand ich auf, ging raus ins Stadion und fiel meiner Frau um den Hals! Ich wurde von meinen Gefühlen völlig überwältigt und heulte mich erstmal an der Schulter meiner Süßen aus.
Danach ging`s zur Massage, fertig machen und dann zu all meinen Unterstützern raus aufs Messegelände. Ohne die Unterstützung wäre ich zu dieser Leistung definitiv nicht fähig gewesen. Ich bin unendlich dankbar für diesen Support und werde versuchen, dies irgendwie zurückzugeben!
Fazit: Roth ist sauhart - Ich habe viel gelernt an diesem Tag – vor allem über mich selbst - Langdistanz ist nur sehr begrenzt planbar – Triathlon hat drei Disziplinen – irgendwas davon geht immer – vor allem wenn man Freunde hat, die einen so genial unterstützen - Ich habe mein Ziel von 9:59:59 nicht geschafft, die 42 Sekunden mehr waren an diesem Tag schlicht nicht drin – Langdistanz lehrt Demut - aber ich werde mir die Sub 10 schon noch holen, denn seit Roth weiß ich, dass ich auch laufen kann, wenn ich nur will – Die nächste Langdistanz wird definitiv nicht Roth!
Mein ganz persönliches Fazit ist die goldene Regel des Triathlon, die seit diesem Tag für mich eine ganz besondere Bedeutung hat: DNF is no Option! Fotos: Melissa Chen, Thomas Kaltwasser, Marathon Photos