02.05.2017

309 Kilometer, 3631 Höhenmeter und 3 franke Freiburger

„Mal was anderes machen“: z. B. das Bölchen-Brevet durch den Südschwarzwald und das Schweizer Jura.

„Mal was anderes machen“: z. B. das Bölchen-Brevet durch den Südschwarzwald und das Schweizer Jura.Irgendwo zwischen Kilometer 250 und 260. Nur das Licht unserer Rad-Scheinwerfer erhellt das dunkle Band der Straße. Endlos erscheint der Weg durch den Sundgau, und so manches Mal vermeinen wir am Horizont das AKW Fessenheim zu erkennen, das die Überquerung des Rheins und damit den Beginn des letzten Streckenabschnitts markiert. Doch dann entpuppt sich der hell erleuchtete Bau wieder nur als Industrieanlage. Was ist das für eine Veranstaltung, bei der man den Anblick eines maroden Atommeilers herbeisehnt?!Angefangen hat das Ganze genau genommen schon vor zwei Jahren,als ein geschätzter Triathlon-Kollege auf die Idee kam, sich statt des Ironman „mal eine andere Herausforderung“ zu suchen und den Rad-Langstreckenklassiker Paris-Brest-Paris zu fahren. Als Qualifikation dafür muss man verschiedene „Brevets“ nachweisen: Rad-Langstreckenfahrten, bei denen eine vorgegebene Strecke (200/300/400/600 km) innerhalb eines bestimmten Zeitlimits zu bewältigen ist. So lernte Frank auch das Bölchen-Brevet kennen - und suchte für die diesjährige Auflage noch Mitfahrende.Warum eigentlich nicht, dachte ich mir,und so schwinge ich mich an einem ziemlich kalten, aber wunderbar sonnigen Aprilmorgen vor dem Freiburger Wirtshaus „Augustiner“ gemeinsam mit Frank, Günther und den etwa 40 weiteren Randonneuren unserer Startgruppe (8:10 Uhr) in den Sattel. Los geht es locker durch die Breisgau-Kapitale, doch der erste Hügel zum Aufwärmen lässt nicht lange auf sich warten. Im Zug der Gruppe und mit frischen Beinen lässt er sich gut fahren. Als ich an einer Linksbiege einen Blick nach hinten wage, realisiere ich, dass hinter mir kein Radler mehr zu sehen ist. Da Günther und Frank ein bewährtes und gut eingespieltes Brevet-Team sind, versuche ich nun einfach, den Anschluss an den Pulk nach vorne zu halten. Und ähnlich wie bei unseren Ausfahrten oder den RTFs kommt man schnell ins Gespräch mit dem einen oder anderen Mitradelnden und fährt ein Stück des Wegs gemeinsam.Im Laufe der Tour kristallisiert sich dann ein Grüppchen heraus,mit dem es sich sowohl sympathie- als auch leistungsmäßig bestens fahren lässt. Doch soweit ist es noch nicht. Nach dem ersten Hügel und einem Ausblick in die benachbarten Vogesen geht es durchs Münstertal, dann biegen wir in ein kleineres Seitental ab und der erste lange Anstieg beginnt. Die Straße windet sich durch grüne Schwarzwaldwiesen in weiten Serpentinen (und mit durchaus steileren Passagen als erwartet) zur Passhöhe auf 930 Metern.Dann beginnt eine zwanzig Kilometer lange Abfahrt,juchee - schon lange bin ich nicht mehr solche Toskana-ähnlichen Schwingen hinunter geradelt! Nach einer Dorfdurchquerung folgt ein kleines Wiesental, durch das ich im Windschatten von drei flotten Schweizer Jungs (Trikotaufdruck „Kurierzentrale“) regelrecht fliege. Dann docken wir an die Gruppe vor uns an und rollen nach einer weiteren Hügelkette zum Rhein hinab und nach Bad Säckingen, der ersten Kontrolle.Hier formiert sich unsere Schicksalsgemeinschaft;die drei Freiburger Radler Andreas, Isam und Matthias nehmen mich in ihrer Mitte auf und in einer Bäckerei versorgen wir uns nicht nur mit Snacks und Getränken, sondern auch mit dem ersten Stempel in unser Brevet-Heftchen. Auf der historischen Holzbrücke überqueren wir den Rhein und tauchen dann allmählich ins Schweizer Jura ein. Erst zieht sich die Strecke noch harmlos durchs Tal und über kleine Wellen, doch dann kommt der Abzweig zum „Berghaus Oberbölchen“.
15 Prozent Steigung kündigt das Warnschild an –und wenn es dabei mal bleibt. Uff! Auf den folgenden sechs Kilometern bis zum Chilchzimmersattel knapp unterhalb des Schweizer Bölchen (1099 m) komme ich mit meiner Übersetzung (39-27) an meine Belastungsgrenze (ehrlich gesagt, wenn nicht vor und hinter mir Mitradler wären, würde ich einfach absteigen und schieben). Dafür entschädigt der Blick in die grandiose Berglandschaft, die hier oben mit weißen Restschneetupfern garniert ist. Als wir uns die Straße hinab ins Tal stürzen frage ich mich, ob es wohl eine gute Idee war, dass wir uns im Berghaus nur den zweiten Kontrollstempel geholt und das Nudelbuffet dort ignoriert haben ...Auf die Abfahrt folgt ein weites, heimtückisch sanft ansteigendes Tal,und der Wind scheint von allen Seiten zu kommen. Selbst im Windschatten kostet das Vorankommen richtig Körner. Ich verliere tatsächlich den Anschluss an meine Gruppe! Doch wie bestellt tauchen die drei Schweizer Freunde von der Kurierzentrale auf und gemeinsam schließen wir die Lücke. Nun geht es bald wieder steiler bergauf bis nach Souboz, wo wir bei einer verwaist im Ort stehenden Zapfsäule den dritten Kontrollstempel finden. Nach einer spektakulären Abfahrt durch die enge, felsige Schlucht „Gorges du Pichoux“ gönnen wir uns an einer Tankstelle eine kleine Rast. Was für ein köstlicher Café au lait (inzwischen befinden wir uns im frankophonen Teil der Schweiz)!
Etwa bei Delémont überkommt mich kurz der Impuls, auf die Laufstrecke wechseln zu wollen,denn 180 Kilometer sind erreicht ;-) Aber weiter geht es auf dem Rad in den letzten Anstieg, der uns in drei „Wellen“ an die Grenze nach Frankreich und in die beginnende Dämmerung führt. Bei Kilometer 220 schließlich ist der letzte Wellengipfel erklommen, wir lassen das Jura hinter uns und durch den Sundgau geht es hinab zum Rhein. Wir wechseln uns vorne ab und zunehmend ist die mentale Stärke gefragt – siehe oben …Endlich erreichen wir tatsächlich das AKW Fessenheimund überqueren den Rhein zurück nach Deutschland. Nur noch ein Katzensprung bis zur Autobahnraststätte Bremgarten, wo wir nicht nur den letzten Kontrollstempel erhalten, sondern auch der Tradition nachkommen, ein gepflegtes Getränk zu uns zu nehmen. Anschließend rauschen wir die letzten 26 Kilometer bis Freiburg. Um 22:55 Uhr erreichen wir das Ziel: 309,5 Kilometer, 3.631 Höhenmeter und 12:42 Stunden Fahrzeit zeigt der Tacho an. Im Augustiner schnell das Brevetkärtchen abgegeben, und dann erfreuen wir uns an leckeren Kohlenhydraten (Flammkuchen! Kartoffelecken!) und erfrischenden Getränken. Und schließlich heißt es Abschied nehmen. Schön war‘s! P.S.: Nach unserer Rückkehr habe ich die traurige Nachricht erfahren. Lieber Peter, Triathlonkumpan der ersten Stunde, dass du nicht mehr da bist, kann ich echt nicht fassen! Wenn wir jetzt am Himmel weiße Streifen sehen, dann bist wahrscheinlich du das, der da oben seine Bahnen zieht. Keep on rocking, buddy. Wir halten dich fest in unseren Herzen.