03.10.2018

24h Schwimmen in Gießen

Dass Triathleten ein schwieriges Verhältnis zum Schwimmen haben und einfach nur froh sind, wenn sie in der Wechselzone aufs Rad steigen können, ist sicherlich keine Seltenheit. Aber es soll auch welche geben, die gerne schwimmen.

Dass Triathleten ein schwieriges Verhältnis zum Schwimmen haben und einfach nur froh sind, wenn sie in der Wechselzone aufs Rad steigen können, ist sicherlich keine Seltenheit. Aber es soll auch welche geben, die gerne schwimmen. Dass Triathleten für verrückte Ideen zu haben sind, ist allerdings auch bekannt und so kam es, dass Tobias Braun und ich uns am Samstagmittag mit Schwimmutensilien, Schlafsachen und jeder Menge Verpflegung auf den Weg zum 24h Schwimmen nach Gießen machten.Für Tobi war es bereits der 3. Start und er hatte sich als Ziel gesetzt, nach 28,2km im letzten Jahr dieses Mal die 30km Marke zu knacken. Für mich war es absolutes Neuland und ich wusste nicht, was auf mich zukommt. Von einem 100 x 100m Schwimmen im Jahr 2016 wusste ich nur, dass es ab 8-9 km schwierig wird, die Arme aus dem Wasser zu bekommen. Allerdings gibt es bei einem 24h keinerlei Zeitdruck, keine fixen Abgangszeiten, sodass jeder in seinem Tempo schwimmen kann, um am Ende so viele Bahnen wie möglich zu sammeln.In Gießen angekommen sicherten wir uns zunächst in der benachbarten Turnhalle Schlafplätze auf Turnmatten und begaben uns ohne Hilfsmittel wie Flossen oder Pullbuoy (diese sind leider nur in Ausnahmefällen erlaubt) in die Schwimmhalle auf die „Delphin“-Bahn. Entgegen meiner ersten Annahme bezieht sich dies nicht auf den Schwimmstil, sondern dient der groben Einstufung des angepeilten Tempos - die Einteilung geht von Schildkröte bis Delphin, wir waren also auf der flotten Bahn. Das kann ja heiter werden. Und das wurde es auch. Die spätere Gesamtsiegerin legte ein Tempo vor, dem keiner folgen konnte bzw. wollte.Ich folgte meinem mit Björn Hauptmannls Tipps erstellten Schlachtplan: 50min Schwimmen, 15min Pause. Ich hatte mir ausgerechnet, in den 50min immer rund 2,5km zu schwimmen, so dass ich am Ende mit fünf Stunden Schlaf und zwei längeren Essenspausen von rund 30min auf 42,5km kommen müsste. Dies schien mir allerdings ein völlig utopischer Wert und mir war auch klar, dass ich irgendwann die Leistung nicht mehr bringen könnte. Aber da ich keine Erfahrungswerte hatte, wusste ich nicht, mit was ich sonst kalkulieren sollte.Tobi hatte eine andere Taktik und schwamm nicht wie ich bestimmte Zeitfenster, sondern hatte sich zunächst Abschnitte über 2km, später 1,5km und dann 1km vorgenommen. Daher machten wir zunächst nur zufällig gleichzeitig Pausen.Anfangs konnte ich noch 2,7km in meinen 50min Einheiten schwimmen, doch gegen 19 Uhr fiel es immer schwerer. Eine mit Tobi für 22 Uhr vereinbarte einstündige Pause am Pizzawagen vor der Schwimmhalle hielt mich gedanklich am Leben. Es gab dort die gefühlt beste Pizza weit und breit und mit einem Red Bull zum Nachtisch ging es in die Nachtschicht. Ich hatte mich vom Plan, 5 Stunden zu schlafen verabschiedet und wollte noch möglichst viele Kilometer sammeln, da ich an den Zwischenergebnissen sehen konnte, dass ich Führender bei den Männern und 2. Gesamt war. Allerdings täuscht dieser Zwischenstand häufig, da die Zählkarten (hier machen die DLRG-Mitglieder beim Zählen der Bahnen einen ähnlich harten Job wie die Teilnehmer – noch mal vielen Dank dafür) nur bei längeren Pausen oder nachts um 2 Uhr bzw. morgens um 6 Uhr (zur Erfassung der Nachtwertung) eingesammelt werden, um Zwischenergebnisse auszurechnen. Bis 3 Uhr hielt ich noch durch, bis ich mir eingestehen musste, dass die Arme nur noch Pudding waren und Weiterschwimmen nur noch vergeudete Ruhezeit wäre. Tobi wollte noch bis 4 Uhr schwimmen, ließ sich dann aber doch erst gegen 5 Uhr neben mir auf die Turnmatte fallen. Ich konnte vor Schmerzen kaum schlafen und gegen 6:30 Uhr zog ich mir wieder die Badehose an, begab mich zum Frühstücksbuffet, um gegen 7 Uhr wieder meine Bahnen zu ziehen. Auch Tobi kam kurz darauf angeschlurft und ich fragte mich, ob ich ähnlich rote „Zombieaugen“ habe, da ich es auch nicht gewöhnt bin, so lange meine Kontaktlinsen drin zu haben. Dass die Füße bei allen Teilnehmern nach Wasserleiche aussahen, hatte ich schon abends im Wasserschatten beobachten können.
Der Spruch „Die Konkurrenz schläft nicht“ hatte leider sehr viel Wahres und so musste ich feststellen, dass ein paar fleißige Mädels nur noch 1,8km hinter mir lagen und mein 2. Platz Gesamt in Gefahr war. In einer kurzen Pause erfuhr ich dann im Gespräch, dass die Mädels sich vorgenommen hatten, die Marathondistanz zu schwimmen und dann aussteigen wollten. Also wusste ich, was ich leisten musste, um 2. zu werden. Minimum 42,3km. Mit 29km vom Vortag also „nur noch“ 13,3km in den verbleibenden 7 Stunden. Sollte machbar sein, aber die Schmerzen waren gnadenlos und so reduzierte ich meine Schwimmblöcke auf 2km, um danach immer wieder unter der heißen Dusche meine Muskulatur zu lockern. Diesen positiven Effekt hatte ich nur zufällig entdeckt, als ich mir am Vortag die Chlorbrühe abspülen wollte. Allerdings verlor ich so zwischenzeitlich auch meinen 2. Rang. Bei den Männern lag ich ungefährdet vorne und immer wieder erwischte ich mich bei dem Gedanken, dass ich doch aufhören könnte. Aber ich wollte dann doch auch irgendwie einen Marathon im Wasser zurücklegen. Tobi hatte zwischenzeitlich auch die 30km Marke geknackt und sein Ziel erreicht. Tapfer zog er aber noch weiter seinen Bahnen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich die Mädels, die nach 42,2km aufhören wollten, aus dem Wasser steigen. Auch für mich war es nicht mehr weit bis zu dieser magischen Marke. Um auf Nummer sicher zu gehen, wollte ich dann doch die 43km voll machen. Bei nach meiner Uhr erreichten 42,9km hielt ich an und fragte den Bahnen-Zähler, wie weit ich bin. „43km“. Was? Geschafft? Nein, ich will mich wenigstens noch mal von meiner Bahn verabschieden. Also noch einmal 100m ausschwimmen. Das erste Mal, dass ich eine Bahn vollständig in Brust zurücklegte – ansonsten bin ich nur Kraul geschwommen. Dann noch eine Bahn Rücken-Altdeutsch zurück und zufrieden und mit schmerzenden Armen die Stufen der Leiter hochgekämpft. Ich hatte mir bei den Männern den Gesamtsieg mit 9km Vorsprung gesichert. Gegen die Siegerin, die unglaubliche 61km hingelegt hat, hatte keiner eine Chance. Tobi (31,1km) wurde dritter Mann und Erster in seiner Altersklasse. Gemeinsam konnten wir für die Eintracht noch die Wertung „Bester Durchschnitt (sonstige Vereine)“ mit 37,1km gewinnen und ließen mit Platz 2. „Gesamtdistanz (sonstiger Verein)“ Teams hinter uns, die mit 20 Startern dabei waren.
Wie bei allen extremeren Wettkämpfen frage ich mich auch hier hinterher: „Würde ich es wieder tun?“. Am Sonntag war die klare Antwort „Nein“. Nach etwas drüber schlafen tendiere ich zu „Warum eigentlich nicht?“. Irgendwie macht es ja doch auch Spaß, seine Grenzen auszutesten. Und die lässt sich bestimmt auch auf 50km verschieben.